Sonntag, 27. Juli 2014

Urbane Akupunktur

Bei Akupunktur denkt man in erster Linie an traditionelle Chinesische Medizin und das Setzen von kleinen Nadeln entlang ausgewählter Punkte auf den Körpermeridianen um die Lebensgeister zu stimulieren. Bringt man dies in Verbindung mit Urbanität, d.h. mit der Art des Zusammenlebens in Städten sowie der formgebenden Gestaltung unserer Lebensräume, so entstehen unglaublich viele neue Aspekte über das Leben selbst und die Komplexität unserer urbanen Umwelt. 

Auf der Hand liegt diese Begriffskombination nicht wirklich, obwohl es doch in Städten und gerade beim Thema „lebendige Stadt“ immer um das Stimulieren des Stadtlebens, die Erweckung von „ausgestorbenen“ Plätzen und um asphaltierte aber meist verstopfte Stadtmeridiane geht. Warum also nicht nach einer althergebrachten Medizin für ein kränkelndes Lebensumfeld suchen, dass vernachlässigt und ungeliebt auch mit den stärksten Placebos nicht auf die Beine kommt.   

„Stadt wäre ohne Menschen lediglich eine
Ansammlung überflüssiger Architektur!“

Um dies herauszufinden mussten wir erstmal 9.300km zurücklegen. Nicht im Rahmen einer Asienreise auf der Suche nach dem Sinn des Lebens oder einer Weltreise durch die angesagtesten Metropolen, sondern in Bogotá / Kolumbien, der am schnellsten wachsenden Metropole Südamerikas, stießen wir auf die besagte Stadtmedizin, die urbane Akupunktur.

Ende April 2014 fand zum ersten Mal das Internationale Forum für Urbane Aktionen mit 30 Vorträgen aus 11 Ländern an der Fakultät für Architektur und Design der Universidad de los Andes in Bogotá statt. Mit dem Projekt Freunde der Donau aus Ingolstadt steuerten wir dabei den vielleicht exotischsten Teil bei. Denn im Gegensatz zu den Ausführungen der meisten Konferenzteilnehmer, immerhin renommierte Architekten, Professoren und Städteplanern, demonstrierten wir 4 anwesenden Donaufreunde persönliches Engagement und Herzblut für unsere Sache. Mit einer sehr emotionalen und inspirierenden Präsentation gelang es Theresia Fladl, die Bürger in den Mittelpunkt aller urbanen Planungen zu stellen. Schließlich geht es doch um die Bürger und deren Vision von Lebensqualität. „Stadt wäre ohne Menschen lediglich eine Ansammlung überflüssiger Architektur!“ bekräftigte Camilo Salazar, Professor für Architektur und Veranstalter des Forums. 

Positive Veränderungen und gleiche Probleme

Bei urbanen Aktionen geht es darum öffentlichen städtischen Raum positiv zu verändern oder auf eine mögliche Verbesserung hinzuweisen. Jeder kennt diese komischen Ecken und verlorenen Orte in seiner Stadt. Oft könnten aus diesen, mit kleinen Maßnahmen, wertvolle Teile der Stadt werden. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft zur Veränderung und der Wille den vorhandenen Lebensraum mit Anderen zu teilen. Nicht jeder Vorschlag von Bürgern wird sich als sinnvoll erweisen aber durch improvisierte urbane Aktionen und Eigeninitiative besteht die Möglichkeit vieles auszuprobieren. Gute Lösungen werden sich immer durchsetzen und aktive motivierte Bürger bilden die Basis dafür. Die Vernetzung mit den verschiedensten internationalen Gruppen im Rahmen des Forums in Kolumbien hat gezeigt, dass alle Initiativen mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. 

Zunahme von häuslicher Gewalt bei fehlendem öffentlichen Raum

In den meisten Fällen fehlen drei Dinge: finanzielle Mittel, Bereitschaft der Bürger aktiv zu werden und eine kooperative Verwaltung. Wobei sich die Finanzierung von kleinen und mittleren Projekten durch z.B. Fundraising oder Eigenleistung und Unterstützung von engagierten Mitbürgern regeln lässt. Auch die Motivation der zuständigen Verwaltung stößt erfahrungsgemäß bei konstruktiver und klarer Diskussion nicht grundsätzlich auf Gegenwehr. Am schwierigsten ist es tatsächlich die Bürger aus der bequemen Haltung zu befreien und für die Verbesserung unseres gemeinsamen Lebensraumes zu begeistern. Die geringe Teilnahme am öffentlichen Leben, fehlender Glaube etwas verbessern zu können und allgemeine Passivität führen dazu, dass Potentiale ungenutzt bleiben. In Deutschland kennt man leider die Ausdrücke: „besser als gar nichts“ oder „das müsste mal jemand machen“ viel zu gut. Unser Wohlstand hindert uns daran, die Realitäten und Bedürfnisse einer attraktiven Stadt zu sehen, solange der eigene Garten als schöner empfunden wird. Hier muss man sich schließlich nicht mit anderen Menschen auseinandersetzen. In anderen Teilen der Welt hat man diese Freiheit gar nicht. Studien in den Armenvierteln Bogotás ergaben, dass häusliche Gewalt und Krankheiten zunehmen wenn kein öffentlicher Raum zur Erholung und Kommunikation zur Verfügung steht. 

Wir wollen jedenfalls nicht in einem Umfeld leben, das von falschen Leitbildern geprägt wird und wo urbane Lebensqualität durch wirtschaftliche, verkehrstechnische oder politische Interessen eingeschränkt wird. An Kreativität und guten Ideen mangelt es glücklicherweise nirgendwo, was mit der Motivation Einzelner zusammenhängt. Natürlich ist jede Stadt und jede Kultur anders und nicht alle Ideen funktionieren überall.  Es gibt jedoch auch urbane Aktionen die weltweit funktionieren und sich wie ein Lauffeuer verbreiten. 

Urbane Aktionen sind wie ein Lauffeuer

Einmal im Jahr findet der internationale Parking-Day statt und dabei handelt es sich nicht um eine Huldigung des besetzten Lebensraumes durch abgestellte Autos, sondern um die Rückeroberung der Parkplätze. Hierzu lösen Aktivisten Parktickets und belegen den dazugehörigen Parkplatz symbolisch mit Kunstrasen, Liegestühlen und Lebenslust. 
Auch wenn die Anforderungen und Probleme in jeder Stadt unterschiedlich sind dienen diese Aktionen doch der Motivation und bestätigen das Prinzip, dass auch kleine Nadelstiche große Wirkung für ihr Umfeld und in größerer Anzahl auch Einfluss auf die Lebensqualität einer Stadt haben. Beispiele aus Deutschland mit aktiven und kreativen Szenen, wie Freiburg oder Münster beweisen das ebenfalls.

Freunde der Donau in Kolumbien?
 
Jemand wird zwangsläufig die Frage nach dem Warum und dem Nutzen dieser Reise und einer Konferenz über urbane Aktionen stellen. Klar, man muss nicht nach Südamerika fliegen um über Bürgerbeteiligung oder gemeinnütziges Engagement zu sprechen. Schließlich gibt es auch in Bayern hervorragende urbane Initiativen wie die Urbanauten und Green City in München oder Transition Town in Regensburg. Aber was gibt es motivierenderes als Gleichgesinnte aus den verschiedensten Ecken der Welt zu treffen, die bereit sind ihre Visionen zu teilen und gemeinsam in die Tat umzusetzen. Nur wer den Mut hat aktiv zu leben wird feststellen wie viel er bewegen kann. Wieso also nicht mit einer urbanen Aktion eine Nadel zum Gelingen des städtischen Zusammenlebens setzen? Es tut gar nicht weh! 

„Für Architekten und Städteplaner sind Kreativität und Vorstellungskraft wichtiger als die technische Ausbildung“

Wir Glauben, wie viele junge Leute unserer Generation, an eine neue Demokratie in der es nicht mit dem Gang zur Wahlurne oder mit jammern getan ist. Bewusst weigern wir uns politisch zu agieren sondern lassen uns von Grundsätzen wie „Aktion statt Diskussion“ oder „begeistern statt beschweren“ leiten. Die Belebung der Donau in Ingolstadt ist uns ein wichtiges Anliegen und hat uns dazu bewegt, Einfluss auf die Entwicklung des Flusses zu nehmen und mit verschiedensten improvisierten Aktionen, auf die Potentiale für einen innerstädtischen Naherholungsraum hinzuweisen. Schließlich konnten wir aus den urbanen Aktionen eine Unterstützer-Plattform machen, die Freunde der Donau. Denn gerade gute Freunde brauchen öffentlicher Raum und Natur derzeit sehr dringend. Der aktive Einsatz für ein besseres Lebensumfeld hat uns gezeigt, dass wertvolle Beiträge zum Gelingen einer lebendigen Stadt keine fachlichen Kenntnisse erfordern. „Für Architekten und Städteplaner sind Kreativität und Vorstellungskraft wichtiger als die technische Ausbildung“ sagt Dr. Carlos Garcia Vazquez, Professor für nachhaltige Architektur und Stadtplanung an der Universität Sevilla und Gründer des Laboratorio Q in Bogotá zum Abschluss seines Vortrags.


Beispiele für urbane Aktionen   

Collectif Le Banc (Quebec, Kanada)
Eine Gruppe in Quebec baut aus Holzpaletten Sitzbänke und Tisch um verlorene Ecken der Stadt zu möblieren und zu netten Treffpunkten zu entwickeln.



Pausa Urbana (San José, Costa Rica)
Zusammen mit Nachbarn werden z.B. unbebaute leerstehende Grundstücke in öffentliche temporäre Parks verwandelt.




Tactical Urbanism (New York, USA)
Die Bewegung aus New York ist bekannt für Parking-Day Aktionen sowie in Eigeninitiative aufgemalte Zebrastreifen und Fahrradspuren um die Verkehrsmassen in Manhattan zu Entschleunigung.




Laboratorio Q (Sevilla, Spanien) 
Die spanische Plattform stellt besonders kreative urbane Aktionen vor. 



Pintarte Urbano (Rosario, Argentinien)
Um eine stärkere Identifikation der Bürger mit der eigenen Stadt und den verschiedenen Vierteln aufzubauen haben Schüler zusammen mit Graffiti-Künstlern die Stadtgeschichte und Besonderheiten dauerhaft dargestellt.






in diesem Sinne 





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