Bei Akupunktur denkt man in erster Linie an
traditionelle Chinesische Medizin und das Setzen von kleinen Nadeln entlang
ausgewählter Punkte auf den Körpermeridianen um die Lebensgeister zu stimulieren. Bringt
man dies in Verbindung mit Urbanität, d.h. mit der Art des Zusammenlebens in Städten
sowie der formgebenden Gestaltung unserer Lebensräume, so entstehen
unglaublich viele neue Aspekte über das Leben selbst und die Komplexität unserer urbanen
Umwelt.
Auf der Hand liegt diese
Begriffskombination nicht wirklich, obwohl es doch in Städten und gerade beim Thema „lebendige Stadt“
immer um das Stimulieren des Stadtlebens, die Erweckung von „ausgestorbenen“ Plätzen
und um asphaltierte aber meist verstopfte Stadtmeridiane geht. Warum also
nicht nach einer althergebrachten Medizin für ein kränkelndes Lebensumfeld suchen,
dass vernachlässigt und ungeliebt auch mit den stärksten Placebos nicht auf die Beine
kommt.
„Stadt wäre ohne Menschen lediglich eine
Ansammlung überflüssiger Architektur!“
Um dies herauszufinden mussten wir erstmal
9.300km zurücklegen. Nicht im Rahmen einer Asienreise auf der Suche nach dem
Sinn des Lebens oder einer Weltreise durch die angesagtesten Metropolen, sondern in
Bogotá / Kolumbien, der am schnellsten wachsenden Metropole Südamerikas, stießen
wir auf die besagte Stadtmedizin, die urbane Akupunktur.
Ende April 2014 fand zum ersten Mal das
Internationale Forum für Urbane Aktionen mit 30 Vorträgen aus 11 Ländern an der Fakultät
für Architektur und Design der Universidad de los Andes in Bogotá statt.
Mit dem Projekt Freunde der Donau aus Ingolstadt steuerten wir dabei den
vielleicht exotischsten Teil bei. Denn im Gegensatz zu den Ausführungen der meisten Konferenzteilnehmer,
immerhin renommierte Architekten, Professoren und Städteplanern,
demonstrierten wir 4 anwesenden Donaufreunde persönliches Engagement und
Herzblut für unsere Sache. Mit einer sehr emotionalen und inspirierenden Präsentation
gelang es Theresia Fladl, die Bürger in den Mittelpunkt aller urbanen Planungen zu
stellen. Schließlich geht es doch um die Bürger und deren Vision von Lebensqualität.
„Stadt wäre ohne Menschen lediglich eine Ansammlung überflüssiger Architektur!“
bekräftigte Camilo Salazar, Professor für Architektur und Veranstalter des
Forums.
Positive Veränderungen und gleiche Probleme
Bei urbanen Aktionen geht es darum
öffentlichen städtischen Raum positiv zu verändern oder auf eine mögliche
Verbesserung hinzuweisen. Jeder kennt diese komischen Ecken und verlorenen Orte in
seiner Stadt. Oft könnten aus diesen, mit kleinen Maßnahmen, wertvolle Teile der
Stadt werden. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft zur Veränderung und der Wille
den vorhandenen Lebensraum mit Anderen zu teilen. Nicht jeder Vorschlag von
Bürgern wird sich als sinnvoll erweisen aber durch improvisierte urbane Aktionen und
Eigeninitiative besteht die Möglichkeit vieles auszuprobieren. Gute Lösungen werden sich
immer durchsetzen und aktive motivierte Bürger bilden die Basis dafür. Die
Vernetzung mit den verschiedensten internationalen Gruppen im Rahmen des Forums in Kolumbien
hat gezeigt, dass alle Initiativen mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen
haben.
Zunahme von häuslicher Gewalt bei fehlendem öffentlichen Raum
In den meisten Fällen fehlen drei Dinge:
finanzielle Mittel, Bereitschaft der Bürger aktiv zu werden und eine kooperative Verwaltung.
Wobei sich die Finanzierung von kleinen und mittleren Projekten durch z.B.
Fundraising oder Eigenleistung und Unterstützung von engagierten Mitbürgern regeln lässt.
Auch die Motivation der zuständigen Verwaltung stößt erfahrungsgemäß bei
konstruktiver und klarer Diskussion nicht grundsätzlich auf Gegenwehr. Am
schwierigsten ist es tatsächlich die Bürger aus der bequemen Haltung zu befreien und für die
Verbesserung unseres gemeinsamen Lebensraumes zu begeistern. Die geringe
Teilnahme am öffentlichen Leben, fehlender Glaube etwas verbessern zu können und
allgemeine Passivität führen dazu, dass Potentiale ungenutzt bleiben. In
Deutschland kennt man leider die Ausdrücke: „besser als gar nichts“ oder „das müsste mal jemand
machen“ viel zu gut. Unser Wohlstand hindert uns daran, die Realitäten und
Bedürfnisse einer attraktiven Stadt zu sehen, solange der eigene Garten als schöner
empfunden wird. Hier muss man sich schließlich nicht mit anderen Menschen
auseinandersetzen. In anderen Teilen der Welt hat man diese Freiheit gar nicht. Studien
in den Armenvierteln Bogotás ergaben, dass häusliche Gewalt und Krankheiten zunehmen
wenn kein öffentlicher Raum zur Erholung und Kommunikation zur Verfügung
steht.
Wir wollen jedenfalls nicht in einem Umfeld
leben, das von falschen Leitbildern geprägt wird und wo urbane Lebensqualität durch
wirtschaftliche, verkehrstechnische oder politische Interessen eingeschränkt wird.
An Kreativität und guten Ideen mangelt es glücklicherweise nirgendwo, was mit der
Motivation Einzelner zusammenhängt. Natürlich ist jede Stadt und jede Kultur
anders und nicht alle Ideen funktionieren überall.
Es gibt jedoch auch urbane Aktionen die weltweit funktionieren und sich
wie ein Lauffeuer verbreiten.
Urbane Aktionen sind wie ein Lauffeuer
Einmal im Jahr findet der internationale
Parking-Day statt und dabei handelt es sich nicht um eine Huldigung des besetzten
Lebensraumes durch abgestellte Autos, sondern um die Rückeroberung der
Parkplätze. Hierzu lösen Aktivisten Parktickets und belegen den dazugehörigen Parkplatz
symbolisch mit Kunstrasen, Liegestühlen und Lebenslust.
Auch wenn die Anforderungen und Probleme in
jeder Stadt unterschiedlich sind dienen diese Aktionen doch der Motivation
und bestätigen das Prinzip, dass auch kleine Nadelstiche große Wirkung für ihr
Umfeld und in größerer Anzahl auch Einfluss auf die Lebensqualität einer Stadt haben.
Beispiele aus Deutschland mit aktiven und kreativen Szenen, wie Freiburg oder Münster
beweisen das ebenfalls.
Freunde der Donau in Kolumbien?
Jemand wird zwangsläufig die Frage nach dem
Warum und dem Nutzen dieser Reise und einer Konferenz über urbane Aktionen
stellen. Klar, man muss nicht nach Südamerika fliegen um über Bürgerbeteiligung oder gemeinnütziges Engagement zu sprechen. Schließlich gibt es auch in Bayern
hervorragende urbane Initiativen wie die Urbanauten und Green City in München oder
Transition Town in Regensburg. Aber was gibt es motivierenderes als
Gleichgesinnte aus den verschiedensten Ecken der Welt zu treffen, die bereit sind ihre
Visionen zu teilen und gemeinsam in die Tat umzusetzen. Nur wer den Mut hat aktiv zu
leben wird feststellen wie viel er bewegen kann. Wieso also nicht mit einer urbanen
Aktion eine Nadel zum Gelingen des städtischen Zusammenlebens setzen? Es tut
gar nicht weh!
„Für Architekten und Städteplaner sind Kreativität und Vorstellungskraft wichtiger als die technische Ausbildung“
Wir Glauben, wie viele junge Leute unserer Generation, an eine neue Demokratie in der es nicht mit dem Gang zur Wahlurne oder mit jammern getan ist. Bewusst weigern wir
uns politisch zu agieren sondern lassen uns von Grundsätzen wie „Aktion statt
Diskussion“ oder „begeistern statt beschweren“ leiten. Die Belebung der Donau in
Ingolstadt ist uns ein wichtiges Anliegen und hat uns dazu bewegt, Einfluss auf die Entwicklung
des Flusses zu nehmen und mit verschiedensten improvisierten Aktionen,
auf die Potentiale für einen innerstädtischen Naherholungsraum hinzuweisen. Schließlich
konnten wir aus den urbanen Aktionen eine Unterstützer-Plattform machen, die
Freunde der Donau. Denn gerade gute Freunde brauchen öffentlicher Raum und Natur
derzeit sehr dringend. Der aktive Einsatz für ein besseres Lebensumfeld hat uns gezeigt, dass
wertvolle Beiträge zum Gelingen einer lebendigen Stadt keine fachlichen
Kenntnisse erfordern. „Für Architekten und Städteplaner sind Kreativität und
Vorstellungskraft wichtiger als die technische Ausbildung“ sagt Dr. Carlos Garcia Vazquez,
Professor für nachhaltige Architektur und Stadtplanung an der Universität Sevilla und
Gründer des Laboratorio Q in Bogotá zum Abschluss seines Vortrags.
Beispiele für urbane Aktionen
Collectif Le Banc (Quebec, Kanada)
Eine Gruppe in Quebec baut aus Holzpaletten
Sitzbänke und Tisch um verlorene Ecken der Stadt zu möblieren und
zu netten Treffpunkten zu entwickeln.
Pausa Urbana (San José, Costa Rica)
Zusammen mit Nachbarn werden z.B. unbebaute
leerstehende Grundstücke in öffentliche temporäre Parks verwandelt.
Tactical Urbanism (New York, USA)
Die Bewegung aus New York ist bekannt für
Parking-Day Aktionen sowie in Eigeninitiative aufgemalte Zebrastreifen
und Fahrradspuren um die Verkehrsmassen in Manhattan zu Entschleunigung.
Laboratorio Q (Sevilla, Spanien)
Die spanische Plattform stellt besonders
kreative urbane Aktionen vor.
Pintarte Urbano (Rosario, Argentinien)
Um eine stärkere Identifikation der Bürger
mit der eigenen Stadt und den verschiedenen Vierteln aufzubauen haben
Schüler zusammen mit Graffiti-Künstlern die Stadtgeschichte und Besonderheiten dauerhaft
dargestellt.
in diesem Sinne