Sonntag, 7. September 2014

Vom Schweben über Asphalt

Die Straße ist ruhig, die Reifen rollen, es ist leise, man spürt den Wind. Kaum eine Kraftanstrengung wird benötigt. Der Häuserzug am Straßenrand kommt unbekannt vor, obwohl schon so oft aus der gleichen Perspektive gesehen. Mein Beifahrer sieht glücklich aus. Die Geschwindigkeit ist eine Andere als normal. Die Straßenzüge verändern sich, sie werden lebendiger. Ich sehe Menschen, Tiere und Pflanzen. Kleinigkeiten fallen auf. Wir fahren Fahrrad - auf der Straße.



Selbstexperiment – Critical Mass

Zugegeben, ich fahre jeden Tag mit dem Rad. Auf dem Weg in die Arbeit, zum Einkaufen, zum Besuch bei Freunden und um alle restlichen Strecken zurückzulegen. Im Sommer und im Winter. Noch nie habe ich an einer Critical Mass teilgenommen. Die Aktion war mir nicht unbekannt und als ich hörte das es diese auch in Ingolstadt geben sollte, war ich Feuer und Flamme.

Man hört immer öfter was eine Critical Mass ist, wie sie entsteht, für was sie steht und wie sie abläuft. Etwas für mich wesentlich interessanteres ist , was passiert mit mir, wenn ich in einer Gruppe von gleichgesinnten Radfreunden ausnahmsweise nicht den Autos unterlegen, friedlich durch die Straßen rolle. Verändere ich mich dadurch?

Eine Stunde hat die Ausfahrt in Ingolstadt beim ersten Mal gedauert. In dieser Stunde habe ich etwas erlebt, dass mir vorher so nicht bewusst war. Es fühlt sich an als hätten die Teilnehmer dies schon oft gemacht. Alles war routiniert. Ein einziges Mal fühlte ich mich unsicher, bei der Einfahrt in den mehrspurigen Audi Kreisverkehr am Westpark. Adrenalin. Doch die Masse gibt einem Schutz, man fühlt sich geborgen wie in einem Vogelschwarm.



Kann ein Menschenschwarm auf Fahrrädern etwas verändern?

Auf den großen Straßen im Stadtgebiet wird eigentlich immer zu schnell gefahren. 70 Km/h sind keine Seltenheit. Doch in diesem Moment, als wir auf der Straße fuhren war dies nicht so. Man nahm Rücksicht. 30-40 km/h auf der Fahrbahn neben uns war selbstverständlich. Es entstanden sogar Gespräche zwischen den Verkehrsteilnehmern. Die Scheuklappen die wir sonst auch selbst aufhaben waren weg. 

Aktive Kommunikation fand zwischen den Radfahrern statt. Jeder Einzelne musste aufpassen was um ihn herum geschieht und wohin die Masse navigierte. Alles verlief problemlos und entspannt. Handzeichen beim Bremsen und Abbiegen, Vorausschauend Fahren, die Geschwindigkeit der Situation anpassen und Schulterblick sind in der Critical Mass selbstverständlich.

Mit dem Luxus, ausnahmsweise über perfekten Asphalt zu schweben, neigte sich die Tour ihrem Ende zu. Die Spitze bog in Richtung Rathausplatz ab und nach einem kurzen Applaus verabschiedeten sich die Teilnehmer in alle Richtungen. Der erste Critical Mass Ingolstadts war vorbei. Friedlich, positiv und überraschend zahlreich.

Auf dem holprigen Radweg fuhr ich zurück zu meiner Wohnung. Handzeichen gab ich automatisch, ich fuhr vorausschauend und fühlte mich als gleichwertiger Verkehrsteilnehmer respektiert. Die Critical Mass hat mich selbst, als Radfahrer zum besseren beeinflusst.



Critical Mass Ingolstadt findet am letzten Freitag im Monat um 19 Uhr am Rathausplatz statt.
Sie ist eine unorganisierte Aktionsform die spontan auftritt und agiert. Sie ist keine Aktion der Freunde der Donau. Wir informieren über diese nur, da sie dem Stadtbild etwas Positives gibt, Menschen auch aus den Nachbarlandkreisen zusammenbringt und eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage ist. 
Die Critical Mass ist nicht gegen das Auto, sie ist eine Aktion für mehr Miteinander und Gleichberechtigung.

Zitat aus Wikipedia.org:
Critical Mass (dt. kritische Masse) ist eine international verwendete Form der direkten Aktion, bei der sich mehrere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer (hauptsächlich Radfahrer) scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um mit gemeinsamen und unhierarchischen Fahrten durch Innenstädte, ihrer bloßen Menge und dem konzentrierten Auftreten von Fahrrädern auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen und „mit dem Druck der Straße mehr Rechte für Radfahrer und vor allem eine bessere Infrastruktur und mehr Platz einzufordern“. Darüber hinaus gehe es der Critical-Mass-Bewegung laut Die Zeit auch um „die Frage, ob öffentlicher Raum nicht dem Verkehr entzogen und ganz anders genutzt werden sollte“.







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